Archiv | November, 2020

Blogparade #Femaleheritage: Sarah Sonja Lerch – Wegbereiterin des Freistaats

13 Nov

Das Thema „Erinnerungskultur“ beschäftigt mich seit Jahren, da es Gegenstand meiner Doktorarbeit ist – an der ich jetzt eigentlich arbeiten und nicht für die Blogparade „Femaleheritage“ der Monacensia schreiben sollte. Aber wenn Tanja zur Blogparade aufruft, ist es quasi Ehrensache, dass ich mich beteilige. Und eigentlich ist die Frau, die ich euch heute vorstellen möchte, Teil meiner Diss. Aber eben nur ein ganz kleiner – eine Randnotiz, sprichwörtlich eine Fußnote der Geschichte. Da ist der Blogpost quasi so etwas wie die Erweiterung meiner Doktorarbeit.

Friedensaktivistin an der Seite Kurt Eisners

Sarah Sonja Lerch geb. Rabinowitz war ihr Name. Maßgeblich hat sie durch ihr mutiges Auftreten dafür gesorgt, dass Kurt Eisner im November 1918 Bayern zum Freistaat machen konnte. Nun ist aber schon Kurt Eisner nicht der größte Gewinner der bayerischen Erinnerungskultur (darüber lest ihr aber dann in meiner Diss). Und eine jüdische Frau aus Osteuropa war es noch viel weniger!

Sarah Sonja Lerch war im sog. Januarstreik aktiv, der im Januar 1918 stattfand. Im letzten Kriegswinter wurde deutschlandweit versucht, die Arbeiter in den Rüstungsbetrieben zum Streik zu bewegen. Die Idee dahinter: Wird kein Nachschub für die Front mehr produziert, kommt es zum Frieden. 

In München rief neben Kurt Eisner u. a. Sarah Sonja zum Streik auf, bei den Versammlungen ergriff sie auch selbst das Wort und wollte die Arbeiter von ihrer Friedensidee überzeugen. Beide wurden sie für die Organisation der Streiks eingesperrt – Anklage: Landesverrat, mit einem Unterschied:

Kurt Eisner kam im November 1918 aus der Haft frei, weil er sich für ein Reichtagsmandat bewarb. Gut, recht lange überlebte er die Haft nicht, da er im Februar 1919 ermordet wurde.

Auf dem Graffiti von won abc an der Martin-Luther-Straße in Giesing ist Sarah Sonja Lerch geb. Rabinowitz neben Kurt Eisner dargestellt. Das Foto entstand, als noch am Mural mit Krahn gearbeitet wurde. (Foto: Winderl)

Beging sie Selbstmord oder wurde sie ermordet?

Doch Sarah Sonja Lerch verstarb bereits während der Haft im März 1918. Bis heute ist nicht geklärt, ob sie Selbstmord beging oder ermordet wurde. 

Ihr Mann – ein Uni-Dozent (sie selbst war übrigens auch promoviert) – hatte sich von ihr distanziert, Zahnschmerzen blieben unbehandelt… Es gab genug Gründe für sie, im Gefängnis zu verzweifeln.

Doch war es nicht die erste politische Aktion, an der Sarah Sonja Lerch sich beteiligt hatte. Schon in ihrer Heimatstadt Warschau und später in der ersten russischen Revolution von 1905 in Odessa war sie politisch aktiv gewesen. 

In einer Zeit, in der Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten, setzte sie sich für grundlegende Veränderungen der Gesellschaft ein und nahm dafür enorme persönliche Nachteile in Kauf. Das finde ich beeindruckend! 

Sie muss eine mutige Frau gewesen sein, denn letztendlich bezahlte sie ihr politisches Engagement mit ihrem Leben. Das allgemeine Wahlrecht für Frauen, das die Revolution von 1918 mit sich brachte, durfte sie nicht einmal erleben.

Wiederentdeckt von einer Frau

Es freut mich daher, dass Sarah Sonja Lerch im Zuge der 100-Jahrfeier der Revolution ein Stück weit wiederentdeckt wurde:

Zu verdanken ist das einer Frau – bei #femaleheritage sei das einfach mal erwähnt: Cornelia Naumann hat aus den wenigen Quellen über Sarah Sonja Lerch deren Lebenslauf erforscht und sich im Roman „Der Abend kommt so schnell“* auch belletristisch mit ihrem Leben auseinandergesetzt. 

Auch won abc hat sie in seinem Revolutions-Mural an der Martin-Luther-Straße, über das ich hier schon gebloggt habe, eingebaut. Ein passender Gedenkort, denn wenige hundert Meter Luftlinie von dort entfernt verstarb sie. Auf dem Graffiti drückt sie die Gefängnisstäbe einfach auseinander. Friedenstauben fliegen von dort heraus.

Interessanterweise verwenden sowohl Naumann als auch won abc den Mädchennamen von Sarah Sonja: Rabinowitz. Was steckt dahinter? Vielleicht soll an sie künftig nicht mehr mit dem Namen ihres Mannes erinnert werden, der sie im Stich ließ?

Erinnerungskultur wird partizipativer 

Seit 2019 ist ein Weg nach ihr in München-Neuperlach benannt. Es ist nur ein kurzes Wegchen, das in die Kurt-Eisner-Straße mündet. Thematisch passt das zusammen. 

Wenn man freilich weiß, dass die Straßenbenennung nach Eisner in den 1960er Jahren höchst umstritten war und Neuperlach noch immer nicht gerade Münchens beste Adresse ist, schmälert das die Ehrbezeugung etwas. Doch tragen auch die sozialen Medien dazu bei, dass Erinnerungskultur heute nicht mehr rein staatlich „verordnet“ wird, sondern von uns allen mitgestaltet werden kann. Diese Blogparade ist ein gutes Beispiel hierfür. Machen wir was draus!

Sarah Sonja Lerch wird auf dem Revolutionsmural in München-Giesing mit ihrem Mädchennamen Rabinowitz genannt. Sie ist die einzige Frau unter vier Männern. (Foto: Winderl)

Die Blogparade #femaleheritage geht bis 9. Dezember 2020. Zum Abschluss meines Beitrags möchte ich euch noch Literaturempfehlungen geben, wenn die Blogparade schon von einer Bibliothek ausgeht 😉

Streetart in Passau: Wie viel mehr wäre möglich?

9 Nov

Streetart und Passau, passt das zusammen? Richtig Interesse für das Thema Streetart geweckt hat bei mir die Streetart-Safari von Martin Arz im Rahmen einer Bloggerreise, über die ich hier geschrieben habe.

Gerade in Zeiten von Corona, da während des „Lockdowns light“ wieder alle Museen schließen mussten, ist Streetart auch eine tolle Möglichkeit, Kunst im öffentlichen Raum zu betrachten. Ohne Eintrittsgeld und vor allem ohne Menschenmassen.

Interview mit mir zu Streetart

Gut, dass es in München eine tolle Graffiti-Szene gibt, das kann man sich fast denken… Aber wie sieht es in kleineren Städten aus? Agnes von der Passauer Neuen Presse hat mich zu diesem Thema interviewt, weil ich glaube, dass in der Stadt Passau da noch Luft nach oben ist.

Das Thema Erinnerungskultur und Streetart wird es sogar in meine Doktorarbeit schaffen, darüber habe ich auch schon einen Vortrag gehalten.

Ich würde z. B. unter der Schanzlbrücke lieber auf farbige Graffitis als auf eintönig graue Betonklötze schauen. Dort unten gibt es auch eine öffentliche Toilette, die so verschönert werden könnte. Auch hierfür gibt es ein gelungenes Beispielprojekt aus der Landeshauptstadt, das Martin Arz hier dokumentiert hat.

Illegalge Streetart, aber ein Fotospot auf Instagram: Die bunten Mauersteine an der Innpromenade (Foto: Winderl)

Aber wie immer bei diesem Thema kriegen es manche Personen in den falschen Hals – oder wollen es in den falschen Hals bekommen. Nach meiner Definition von Streetart auf Facebook unterstellte mir ein stadtbekannter Leserbriefschreiber, dass ich für Schmierereien wie „f* Cops“ sei. (Wer mich etwas kennt, weiß, dass ich schon aufgrund meines familiären Hintergrunds solche Botschaften sicher nicht gut heißen würde!)

Illegales Graffiti wird zum Insta-Spot

Dass Streetart in Passau durchaus Fans hätte, zeigt das Beispiel des illegalen Fassadenschmucks an der Innpromenande. Dort wurde die historische Mauerstruktur mit Farbe aufgegriffen. Sicherlich kein Meisterwerk, aber dieses Mural entwickelte sich zu einem sog. „Instaspot“, heißt: hier werden viele Fotos für das soziale Netzwerk Instagram geschossen.

So einen Instaspot bräuchte Passau meine Erachtens dringend! Mobile Graffitiwände würden sich hier evtl. anbieten. Vorteil: Gefällt das Motiv nicht mehr (oder wird es verschandelt), kann es leicht ausgetauscht werden. 

Am „Auerbacher Stachus“ zaubert mir dieser Astronaut jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich an ihm vorbeifahre. Oben ist „alles geht vorbei“ zu lesen. Ein gutes Motto für die Coronazeit. (Foto: Winderl)

Passauer Hausbesitzer setzt auf Streetart als Verschönerungsmaßnahme

Am „Auerbacher Stachus“ setzt aktuell ein Hausbesitzer auf die Fassadengestaltung mit Graffiti. Zugegeben, das Hotel Geizkragen mit Nachtclub vorne raus zur Regensburger Straße ist nicht gerade DAS optische Aushängeschild Passaus. Streetart kann dort fast nichts mehr retten, aber der Astronaut zaubert mir irgendwie immer ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich an ihm vorbeifahre.

Ein Banksy ist es freilich nicht – aber eine im wahrsten Sinne des Wortes frohe und farbenfrohe Botschaft, die uns der Graffiti-Künstler zu Corona-Zeiten schenkt: Alles geht vorbei!

Das Hotel Geizkragen in Passau-Auerbach wird derzeit an allen Seiten mit Streetart aufgewertet. (Foto: Winderl)

Stadt Passau hat angeblich Probleme, Streetart-Künstler zu finden

Komisch, dass ein Unternehmer einen Streetartkünstler ausfindig machen konnte, während die Stadt Passau angeblich vergeblich nach welchen sucht! Ich glaube, dass zwischen München und Linz durchaus ein paar Talente zu finden wären. Linz setzt z. B. bei der Verpackung seiner traditionellen Linzer Torte auf Graffiti-Style und zeigt so, dass sich Tradition und Streetart keineswegs ausschließen müssen! Es gibt in Passau mit drei Flüssen so viele Brücken und damit Brückenpfeiler, die nach Farbe lechzen! Und gerade jetzt sollten wir unseren Alltag doch so bunt und fröhlich wie möglich gestalten! Zur Not müsste sich die Stadt Passau das halt auch mal etwas kosten lassen…

Auch dieses Graffiti ist illegal, aber das Motiv sagt für Passauliebhaber alles. (Foto: Winderl)

Oder was meint ihr?

Wie ist eure Meinung zum Thema „Streetart“? 

Wäre das Klohäuschen unter der Schanzlbrücke mit Streetart nicht schöner, evtl. sogar ein echter Blickfang? (Foto: Winderl)