„Wenn das meine Schwiegermutter sehen würde… Ich glaube, wir dürfen ihr gar keine Bilder vom Laden zeigen“, sagt Susi. Sie ist die Frau von Bernhard, dem Besitzer des kleinen Tante-Emma-Ladens „Bernhard’s Corner Shop“* am Oberen Sand in Passau.
Vor „Bernhard’s Corner Shop“ am Oberen Sand trocknet das Mobiliar.
Bei Bernhard holt man sich die ein oder andere Flasche Bier, um an der nahe gelegenen Innpromenade mit Freunden zusammenzusitzen. Jetzt kann man weder an der Innpromenade sitzen, weil dort noch die schlammigen braunen Hochwasserfluten ihre Spuren hinterlassen haben. Und Bernhard kann derzeit nichts verkaufen – auch nicht die Dinge für den täglichen Bedarf, mit denen sich die Bewohner der Passauer Altstadt sonst so gerne bei ihm eindecken. „Bernhard’s Corner Shop“ mit seinem Retro-Charme, das ist eine kleine Passauer Institution und deswegen helfen die Anwohner jetzt. „Ihr“ Laden wurde beim Jahrtausendhochwasser überflutet.
Bis dato keine Erfahrung mit Hochwasser
„Nur beim Hochwasser von 1954 hatte meine Schwiegermutter, die den Laden gegründet hat, hier das Wasser drin“, sagt Susi. Deswegen trifft Bernhard das Hochwasser nun besonders hart, da er im Gegensatz zu anderen Ladenbesitzern, die näher an Donau oder Inn liegen, keine Erfahrung mit den schlammigen Fluten hat.
Rein zufällig bin ich am Dienstag zu den Aufräumarbeiten im Laden gestoßen. Ich habe einfach gefragt, ob hier Hilfe benötigt wird. „Hast du Gummistiefel an? – Dann rein mit dir!“ Eine Treppenstufe führt nach unten in den Ein-Zimmer-großen-Verkaufsraum an der Ecke zur Theresienstraße. Zu diesem Zeitpunkt steht das schlammige Innwasser noch gummistiefelhoch in „Bernhard’s Corner Shop“. Bis zur Mitte des Schaufensters stand es dort bei der Scheitelwelle des Inns.
Zugegeben, ich hatte keine Vorstellung davon, was mich in der überfluteten Passauer Altstadt erwarten wird. So war ich im ersten Moment doch etwas geschockt, als ich die Verwüstung des kleinen Ladens näher betrachte. Im schlammig-braunen Hochwasser schwimmen Getränkedosen, diverse andere Lebensmittel – aber auch Glasscherben.
Große, kleine Gesten in der Katastrophe
Als ich noch die Lage sondiere, spricht mich eine Frau freundlich von der Seite an: „Schön, dass du uns hilfst.“ Die Frau zieht ihre gelben Gummihandschuhe aus und reicht mir die Hand. Welch eine freundliche Geste denke ich, angesichts des katastrophalen Zustandes des Ladens. „Ich bin Susi, Bernhard’s Frau. Könntest du bitte einen Müllsack suchen und den Müll aus dem Wasser fischen?“
Innerhalb von nur einiger Minuten schmeißen wir so Lebensmittel im Wert von sicher einigen hundert Euro weg. Derweil sind es „nur“ Lebensmittel, was da im Wasser treibt. Was, wenn ich einem Privathaus stehen und persönliche Erinnerungen in den blauen Müllsack stopfen müsste?
Alle helfen zusammen
Studenten und Einheimische helfen zusammen. Das Hochwasser wird mit Eimern aus „Bernhard’s Corner Shop“ geschöpft.
Kartons sind aufgequollen, Verpackungen verdreckt vom Schlamm. Die Sicht im überfluteten Laden ist nicht optimal – der Strom ist abgestellt, es gibt kein Licht und Leitungswasser zum Putzen. Währenddessen schöpft ein Schulleiter mit einem Eimer unermüdlich das Hochwasser aus dem Laden. Das ist echte Knochenarbeit. Der „Pauker“ wohnt in der Nachbarschaft. Jetzt helfen alle zusammen: Alteingesessene Passauer, Bewohner, Studenten, Schüler.
Helena z. B. hätte heute eigentlich mündliche Abiturprüfung. Doch die Gymnasien in der Altstadt stehen noch unter Wasser. Respekt, dass sie die zusätzliche Zeit nicht zum Lernen nutzt, sondern anpackt!
Nachdem ein Großteil des Mülls aus dem Wasser gefischt ist, fangen wir an mit einem Besen das Wasser in die Mitte des kleinen Ladens zu „kehren“. Die anderen Helfer schöpfen derweil weiter das Wasser mit Eimern aus dem Laden. Eine Pumpe kann nicht aufgetrieben werden.
Herber Rückschlag für den kranken Bernhard
So wie das Bernhards „Schuldenheft“ sind alle Unterlagen in den Fluten verschmutzt und durchnässt worden.
Bernhard steht fassungslos vor dem Corner Shop, der seinen Namen trägt. Der schmächtige Ladenbesitzer ist gesundheitlich ohnehin stark angeschlagen, erst seit einigen Wochen aus dem Krankenhaus entlassen. Das Hochwasser in seinem Laden ist für ihn also nochmals ein schwerer Rückschlag. Zumal er an jedem Einrichtungsteil in seinem Laden aus den 1960er Jahren hängt. Stimmig hat er den Verkaufsraum liebevoll mit allerhand Retro-Accessoires dekoriert. „Alles nach und nach auf Flohmärkten gekauft“, erklärt Susi. Die kleinen Blechschachteln und Schilder sind von Schlamm beschmiert. Die Retro-Poster an den Wänden durchnässt. Sie müssen runter. Das Wasser stand schließlich mannshoch im Laden. Die Schachteln wasche ich aus und hoffe, dass sie nach dem Trocknen keinen Rost ansetzen. Zu wenig wird Bernhard wohl ohnehin von seinem „alten“ Laden bleiben. Ob das Mobiliar nach dem Trocken noch zu gebrauchen ist?
Quer über den Verkaufsraum hat das Hochwasser Bernhards Theke gespült. Von ihr will sich Bernhard auf keinen Fall trennen – noch nicht. Also wird darum herum geschrubbt und geputzt. Doch nachdem mühevoll das Wasser immer mehr hinausgeschöpft ist, wird klar, dass die Theke weichen muss. Das massive Holzteil ist zu schwer um es hinauszutragen, es muss an Ort und Stelle klein gehackt werden.
Die einen helfen, die anderen plündern
Vor dem Laden lagern Dinge, die aus den Fluten gerettet werden konnten und dort trocknen sollen. Als ich einen Eimer Wasser in den Gully kippe, fällt mir ein Mann mit weißen Turnschuhen auf. Geputzt hat der damit sicher nicht, denk ich mir. Er schleicht zu den wenigen Habseligkeiten, die Bernhard noch geblieben sind. Mit einer Seelenruhe fängt der schwarzhaarige Turnschuhträger an darin zu wühlen. Ich frage ihn mit Nachdruck: „Und das wollen Sie jetzt mitnehmen?“ „Ja“ grinst er mir frech ins Gesicht. Zum Glück bemerkt Susi die Situation, denn ich hätte angesichts soviel Unverfrorenheit keinen Ton mehr heraus bekommen. Doch jetzt zeigt auch Susi Emotionen. Die Frau, die so besonnen und freundlich wirkt trotz der miserablen Situation, in der sich ihr Familienbetrieb befindet, schreit nun los: „Das ist das Allerletzte! Schau, dass du wegkommst!“ – sie zieht jetzt abermals ihre gelben Spülhandschuhe aus und wirft sie nach dem Plünderer. Dann brechen bei ihr alle Dämme. Wir Helfer versuchen sie zu trösten. „Ihr alle, die ihr dasteht – allen ein herzliches Dankeschön!“, schluchzt sie.
+++ Hilfe für „Bernhard’s Corner Shop“
–> *Sie wollen Bernhard Riederer helfen?
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich auf das Helfen und nicht Fotografieren konzentriert habe. Zudem wollte ich Bernhard in dieser Situation nicht vor die (Handy)Kamera holen.
Seine Mitarbeiterin, Michaela Wagner, hat ein Spendenkonto für ihn eingerichtet:
Kontoinhaber: Michaela Wagner
Kennwort: Hochwasser-Hilfe Bernhard Riederer
Kontonummer: 30366959
BLZ 74050000
Sparkasse Passau
++++ Am Samstag, 8. Juni 2013, findet ab 17h eine Feier in Bernhard’s Corner Shop statt. Getränke sind gratis um Spenden wird gebeten.
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BEMERKUNG: Bernhard ist nur ein Einzelschicksal. Meine ganze Heimatstadt ist verwüstet. Wir uns Passauern helfen will:
Stiftung der Passauer Neuen Presse
Kennwort: PNP-Fluthilfe
Kontonummer: 30 365 373
BLZ 740 500 00
Sparkasse Passau
Für Spenden aus dem Ausland:
IBAN: DE30740500000030365373
BIC: BYLADEM1PAS
Schlagwörter: Altstadt Passau, Berlin, Bernhard's Corner Shop, Fluthilfe, Hochwasser, Hochwasser Passau, Innpromenade Passau, Jahrtausendflut, Oberer Sand, Passau, Theresienstraße Passau