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Blogparade: Warum gibt es bis heute #Deutungskämpfe über Kurt Eisner und die Revolution?

18 Okt

„Was einer ist, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar…“ lautet ein bekanntes und wie ich finde, auch sehr treffendes Zitat von Hans Carossa.

Als Historikerin beschäftige ich mich vornehmlich mit Menschen, die bereits verschieden sind. Ich kann mich mit ihnen nicht mehr direkt unterhalten, sondern muss mit Mitmenschen über sie sprechen, wobei sog. Oral History nicht unumstritten ist. Im Idealfall hat der Verstorbene in seinem Leben so viele und wichtige Quellen hinterlassen, dass diese in Archiven aufbewahrt werden. 

Doch das Problem das dahinter steckt wird hoffentlich klar: Es kann zu „Deutungskämpfen“ kommen. Denn was mir Zeitzeugen berichten oder ich aus Quellen herauslese, kann anders ausfallen, als das gängige Stimmungsbild das z. B. Zeitungen über diese Person eingefangen haben.

Sinnigerweise hat das Stadtarchiv München zur gleichnamigen Blogparade aufgerufen und ich beteilige mich gerne daran, weil ich in meiner Doktorarbeit über die Rezeption des Eisner-Attentats genau mit diesen „Deutungskämpfen“ konfrontiert bin:

Der Gedenkstein am Ostfriedhof für die „Toten der Revolution“ war gleichzeitig Grab Eisners – bis die Nazis es sprengen ließen. Die Urne wurde der Israeltischen Kultusgemeinde übergeben. Die heutige Replik des Steines wurde in den 1950er Jahren dort aufgestellt. (Foto: Winderl)

Echte Trauer oder nur Schaulustige bei größter Beerdigung in der Geschichte des Ostfriedhofs?

Wenn es – nach Carossa – nach dem Tod deutlich wird, was eine Person war, dann wäre meine Doktorarbeit schnell geschrieben: Denn auch wenn Kurt Eisner während seiner kurzen Amtszeit als erster bayerischer Ministerpräsident nicht gerade die Sympathien auf seiner Seite hatte, war die Trauer nach seinem Ableben groß. Der Tag seiner „Beerdigung“ wurde zum Landestrauertag erklärt. Der Trauerkondukt war so lang, dass die letzten Teilnehmer noch nicht von der Theresienwiese losmarschiert waren, als die ersten darin den Ostfriedhof erreicht hatten.

Waren unter diesen zahlreichen Trauergästen nur Schaulustige, wie später behauptet wurde?

Wie kann es überhaupt zu „Deutungskämpfen“ beim Opfer eines Attentats kommen? Steigt ein Ermordeter nicht automatisch in den Nimbus eines Heiligen auf? Man denke nur an ermordete Staatsmänner wie John F. Kennedy…

Doch Kurt Eisner sollte es anders ergehen: Schon während seiner kurzen Amtszeit wurde das Gerücht geschürt, er heiße in Wirklichkeit „Salomon Kosmanoswki“ und sei ein Jude aus Osteuropa.

Eisner war zwar Jude, aber kein Gläubiger und sein Vater war Kaufmann in Berlin gewesen. Das ist heute durch genug Quellenmaterial unwiderruflich belegt. 

Nazis beseitigen Grab Eisners

Kurz nach der sog. Machtübernahme sprengten die Nazis das Grabmal des Juden Eisners, mit folgender Begründung: „Von einem großen Teil der christlichen Bevölkerung Münchens wird es als eine Schande empfunden, daß das Grab dieses Revolutionärs, der über die Bevölkerung soviel Unheil und Unglück gebracht hat, sich immer noch an einem der schönsten Punkte des Ostfriedhofs befindet.“ 

Derweil war die Novemberrevolution, an dessen Spitze sich Kurt Eisner befand, völlig unblutig verlaufen. Statt „Unheil und Unglück“ hatte sie München und ganz Bayern die Demokratie, den Achtstundentag und nicht zuletzt das Wahlrecht für Frauen gebracht. Deutungskämpfe also, die nach dem Ende der NS-Zeit beendet waren?

Leider nicht wirklich: In den 1950er Jahren wurden zwar eine Replik des ehemaligen Grabes auf dem Ostfriedhof wieder aufgestellt, eine entsprechende Umdeutung der Revolutionsregierung war jedoch nicht in Sicht. An dieser Stelle möchte ich den geneigten Leser, die geneigte Leserin auf meine Doktorarbeit verweisen, die hoffentlich bald fertig gestellt wird! Im Rahmen des Blogposts kann ich nur schlaglichtartig die Deutungskämpfe für eine adäquater Erinnerungskultur beleuchten.

Straße des Attentats nach umstrittenen Kardinal Faulhaber benannt

50 Jahre nach dem Jahrestag der Revolution wurde bspw. eine Straße nach Kurt Eisner benannt. Nicht jedoch im Stadtzentrum, wie er es wohl eher verdient hätte. Schließlich hat er Bayern zum Freistaat gemacht…

Nein, in einem damaligen Neubaugebiet, in Neuperlach.

Die Straße, in der der er ermordet wurde, nach ihm zu benennen, wurde abgelehnt.

Sie wurde stattdessen nach dem Tod des Kardinals nach Faulhaber benannt. Eine Person, um die es auch Deutungskämpfe gibt und die Diskussion um die Benennung einer Straße nach seiner Person auch im Beitrag des Diözesanarchivs zur Blogparade thematisiert wird. Persönlich finde ich es schwierig zu wissen, dass Kardinal Faulhaber Kurt Eisner und die Revolution kritisch gesehen hat und ausgerechnet die Straße nach ihm benannt wurde, in der sein einstiger Gegner Opfer eines Attentats wurde. Im Übrigen pflegte er zum Attentäter bzw. dessen Familie beste Beziehungen, traute sogar Anton Graf Arco auf Valley mit seiner Ehefrau. Aber das ist eine andere Geschichte, die ebenfalls in meiner Diss geschildert wird.

Straßennamen sind auch Thema im Blogpost des Stadtarchivs München. Straßennamen haben weit mehr als eine Orientierungsfunktion in unseren Städten, sie sind auch ein wichtiges Abbild der Erinnerungskultur einer Gesellschaft und zeigen, wer einen Deutungskampf in einer bestimmten Epoche für sich entscheiden konnte.

100 Jahre Freistaat und Staatsregierung gedenkt Gründungsvater nicht

Jetzt machen wir einen großen zeitlichen Sprung und denken uns ins Jahr 2018: Ganz Bayern feiert Kurt Eisner, dass er vor 100 Jahren den Freistaat Bayern begründet hat.

Ganz Bayern? 

Nein, Eisners Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Markus Söder, erwähnt im offiziellen Feierakt der Staatsregierung den Namen Eisners nicht!

Warum? Der Freistaat Bayern erscheint heute gleichsam als Synonym für die CSU. Da kann unmöglich ein linker Berliner den Freistaat begründet haben!

Aber was kann Kurt Eisner dafür, dass sich eine Partei, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hat, dieselbe Bezeichnung nutzt wie Kurt Eisner in der Nacht der Novemberrevolution? Es war übrigens ebenfalls ein Sozialdemokrat, Wilhelm Hoegner, der nach 1946 den Staatsnamen wieder für Bayern in Spiel gebracht hat.

Die Staatsbezeichnung Freistaat enthält übrigens keine extra Rechte für Bayern, auch wenn Eisner (als gebürtiger Berliner) dies gern gesehen hätte… Freistaat ist schlicht eine andere Bezeichnung für Republik und sagt, dass dieser Staat „frei von Monarchie“ ist.

Anerkennung jetzt!

Ich finde es schade, dass wir über 100 Jahre nach dem Attentat auf Kurt Eisner noch immer darüber diskutieren müssen, ob er den Begriff „Freistaat“ verwendet hat oder nicht.

Er hatte seine Idee mit dem Leben bezahlt. Allein dafür schulden wir unserem Gründungsvater Respekt – die Zeit sollte reif dafür sein, seine Leistung über Parteigrenzen hinweg anzuerkennen! Ich hoffe, dass meine Doktorarbeit einen Beitrag dazu leisten wird.

Weitere Blogposts zum Thema „Kurt Eisner“:

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Blogparade #Femaleheritage: Sarah Sonja Lerch – Wegbereiterin des Freistaats

13 Nov

Das Thema „Erinnerungskultur“ beschäftigt mich seit Jahren, da es Gegenstand meiner Doktorarbeit ist – an der ich jetzt eigentlich arbeiten und nicht für die Blogparade „Femaleheritage“ der Monacensia schreiben sollte. Aber wenn Tanja zur Blogparade aufruft, ist es quasi Ehrensache, dass ich mich beteilige. Und eigentlich ist die Frau, die ich euch heute vorstellen möchte, Teil meiner Diss. Aber eben nur ein ganz kleiner – eine Randnotiz, sprichwörtlich eine Fußnote der Geschichte. Da ist der Blogpost quasi so etwas wie die Erweiterung meiner Doktorarbeit.

Friedensaktivistin an der Seite Kurt Eisners

Sarah Sonja Lerch geb. Rabinowitz war ihr Name. Maßgeblich hat sie durch ihr mutiges Auftreten dafür gesorgt, dass Kurt Eisner im November 1918 Bayern zum Freistaat machen konnte. Nun ist aber schon Kurt Eisner nicht der größte Gewinner der bayerischen Erinnerungskultur (darüber lest ihr aber dann in meiner Diss). Und eine jüdische Frau aus Osteuropa war es noch viel weniger!

Sarah Sonja Lerch war im sog. Januarstreik aktiv, der im Januar 1918 stattfand. Im letzten Kriegswinter wurde deutschlandweit versucht, die Arbeiter in den Rüstungsbetrieben zum Streik zu bewegen. Die Idee dahinter: Wird kein Nachschub für die Front mehr produziert, kommt es zum Frieden. 

In München rief neben Kurt Eisner u. a. Sarah Sonja zum Streik auf, bei den Versammlungen ergriff sie auch selbst das Wort und wollte die Arbeiter von ihrer Friedensidee überzeugen. Beide wurden sie für die Organisation der Streiks eingesperrt – Anklage: Landesverrat, mit einem Unterschied:

Kurt Eisner kam im November 1918 aus der Haft frei, weil er sich für ein Reichtagsmandat bewarb. Gut, recht lange überlebte er die Haft nicht, da er im Februar 1919 ermordet wurde.

Auf dem Graffiti von won abc an der Martin-Luther-Straße in Giesing ist Sarah Sonja Lerch geb. Rabinowitz neben Kurt Eisner dargestellt. Das Foto entstand, als noch am Mural mit Krahn gearbeitet wurde. (Foto: Winderl)

Beging sie Selbstmord oder wurde sie ermordet?

Doch Sarah Sonja Lerch verstarb bereits während der Haft im März 1918. Bis heute ist nicht geklärt, ob sie Selbstmord beging oder ermordet wurde. 

Ihr Mann – ein Uni-Dozent (sie selbst war übrigens auch promoviert) – hatte sich von ihr distanziert, Zahnschmerzen blieben unbehandelt… Es gab genug Gründe für sie, im Gefängnis zu verzweifeln.

Doch war es nicht die erste politische Aktion, an der Sarah Sonja Lerch sich beteiligt hatte. Schon in ihrer Heimatstadt Warschau und später in der ersten russischen Revolution von 1905 in Odessa war sie politisch aktiv gewesen. 

In einer Zeit, in der Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten, setzte sie sich für grundlegende Veränderungen der Gesellschaft ein und nahm dafür enorme persönliche Nachteile in Kauf. Das finde ich beeindruckend! 

Sie muss eine mutige Frau gewesen sein, denn letztendlich bezahlte sie ihr politisches Engagement mit ihrem Leben. Das allgemeine Wahlrecht für Frauen, das die Revolution von 1918 mit sich brachte, durfte sie nicht einmal erleben.

Wiederentdeckt von einer Frau

Es freut mich daher, dass Sarah Sonja Lerch im Zuge der 100-Jahrfeier der Revolution ein Stück weit wiederentdeckt wurde:

Zu verdanken ist das einer Frau – bei #femaleheritage sei das einfach mal erwähnt: Cornelia Naumann hat aus den wenigen Quellen über Sarah Sonja Lerch deren Lebenslauf erforscht und sich im Roman „Der Abend kommt so schnell“* auch belletristisch mit ihrem Leben auseinandergesetzt. 

Auch won abc hat sie in seinem Revolutions-Mural an der Martin-Luther-Straße, über das ich hier schon gebloggt habe, eingebaut. Ein passender Gedenkort, denn wenige hundert Meter Luftlinie von dort entfernt verstarb sie. Auf dem Graffiti drückt sie die Gefängnisstäbe einfach auseinander. Friedenstauben fliegen von dort heraus.

Interessanterweise verwenden sowohl Naumann als auch won abc den Mädchennamen von Sarah Sonja: Rabinowitz. Was steckt dahinter? Vielleicht soll an sie künftig nicht mehr mit dem Namen ihres Mannes erinnert werden, der sie im Stich ließ?

Erinnerungskultur wird partizipativer 

Seit 2019 ist ein Weg nach ihr in München-Neuperlach benannt. Es ist nur ein kurzes Wegchen, das in die Kurt-Eisner-Straße mündet. Thematisch passt das zusammen. 

Wenn man freilich weiß, dass die Straßenbenennung nach Eisner in den 1960er Jahren höchst umstritten war und Neuperlach noch immer nicht gerade Münchens beste Adresse ist, schmälert das die Ehrbezeugung etwas. Doch tragen auch die sozialen Medien dazu bei, dass Erinnerungskultur heute nicht mehr rein staatlich „verordnet“ wird, sondern von uns allen mitgestaltet werden kann. Diese Blogparade ist ein gutes Beispiel hierfür. Machen wir was draus!

Sarah Sonja Lerch wird auf dem Revolutionsmural in München-Giesing mit ihrem Mädchennamen Rabinowitz genannt. Sie ist die einzige Frau unter vier Männern. (Foto: Winderl)

Die Blogparade #femaleheritage geht bis 9. Dezember 2020. Zum Abschluss meines Beitrags möchte ich euch noch Literaturempfehlungen geben, wenn die Blogparade schon von einer Bibliothek ausgeht 😉

Kurt-Eisner-Straße für Passau?

1 Jun

Max-Matheis-Straße Passau

Die Max-Matheus-Straße in Passau-Neustift ist wegen der NS-Vergangenheit ihres Namensgebers nicht unumstritten. (Foto: Winderl)

Offensichtlich würde man Max Matheis heute keinen Persilschein mehr ausstellen – und schon gar keine Straße nach ihm benennen. Die Linke Passau wollte das prüfen lassen.

Die Stadt Passau ließ sich Zeit… Viel Zeit. Nach fünf(!) Jahren hakte die Linke nach („Linke hakt im Fall Max Matheis nach“ (Passauer Neue Presse (PNP)/ Lokalteil Passau vom 20.04.19, S. 21). Das Ergebnis: Die Stadt Passau hat eine Prüfung noch nicht vorgenommen. 

Ich schrieb einen Leserbrief, denn der evtl. frei werdende Straßenname inspirierte mich:

Mein Leserbrief (PNP/ Lokalteil Passau vom 08.05.19, S. 24)

„Es stellt sich für mich die Frage, ob alle Persönlichkeiten, nach denen in Passau eine Straße benannt ist, einer kritischen Prüfung Stand hielten. Dennoch finde ich es richtig und wichtig, dass Die Linke bei der Stadt nachtarockt, wie man mit der Max-Matheis-Straße verfahren möchte.
Es kann nämlich nicht sein, dass aus Bequemlichkeit – sicher wäre eine Umbenennung mit Aufwand für die Stadt und nicht zuletzt für die Anwohner verbunden – einfach nichts geschieht! Meines Erachtens könnte die Stadt Passau im Zuge des Zentenariums von 100 Jahre Freistaat und Attentat auf seinen Gründer hier einen Coup landen: Nach Kurt Eisner sind in ganz Bayern nur zwei Straßen benannt. Mit der Umbenennung der Max-Matheis- in Kurt-Eisner-Straße könnte die Stadt Passau ein Statement für Demokratie setzen.
Schließlich hat der Eisner-Attentäter in der Altstadt die Schulbank gedrückt und das Notabitur erworben. Hat man das in der Stadt bis dato richtig aufgearbeitet?
Auch thematisch würde sich der erste bayerische Ministerpräsident in die Riege verdienter Bayern meines Erachtens gut einordnen, nach denen die Straßen im Neustifter Umfeld benannt sind. Denn auch wenn Eisner gebürtiger Berliner war, starb er als überzeugter Wahl-Bayer – seine Eltern übrigens in der Passauer Straße in Berlin. Wenn Straßennamen sprechen könnten…“

Reaktion auf meinen Leserbrief

Kurt Eisner Platz München

Aktivisten um Aktionskünstler Wolfram P. Kastner benennen zum Jahrestag des Attentats den Marienhof in München seit einigen Jahren in Kurt-Eisner-Platz um. (Foto: Winderl)

Ist es nicht schön, wenn der eigene Leserbrief andere Leser zum Schreiben bringt?
Einige Tage später (PNP/ Lokalteil vom 16.05.19, S. 21) erschien ein Leserbrief von Alois Zechmann, der sich auf denselben Artikel bezog und ebenfalls für eine Kurt-Eisner-Straße in Passau plädierte, er schreibt: „Es ist eine große Schande, dass in ganz Bayern meines Wissens nur in München eine Straße nach Kurt Eisner, dem Begründer des Freistaats benannt ist.“

Das ist zwar so nicht so ganz richtig: Denn seit 2018 gibt es in Erlangen einen Platz in der Nähe des Rathauses, der im Zuge des Freistaat-Jubiläums nach Eisner benannt wurde. Aber ein Platz ist keine Straße. Und so bin ich, wie Alois Zechmann gespannt, welcher Stadtrat sich traut, einen entsprechenden Antrag in Passau einzubringen.

Marienhof in München soll Kurt-Eisner-Platz werden

Übrigens: In München wünschen sich Eisner-Fans eine Umbenennung des Marienhofs in Kurt-Eisner-Platz. Dieser prominente Platz befindet sich direkt neben dem Marienplatz, aber hat keine Anwohner. Eine Umbenennung würde also relativ wenig kosten.

Da bei Straßenbennungen der Grundsatz der Gleichwertigkeit berücksichtigt werden sollte, d. h. nach bedeutenden Personen sollten wichtige Straßen benannt werden, wäre der Marienhof im Herzen Münchens ideal! Denn die Kurt-Eisner-Straße befindet sich in Neuperlach. 1969, zum Zeitpunkt der Benennung, war dies noch ein sozialer Brennpunkt; doch nicht einmal dort wollte man dem ersten bayerischen Ministerpräsidenten einen Straße gönnen. Als Gegenargument wurde u. a. eingebracht, dass dies die Witwe – Achtung – des Attentäters beleidigen würde. Eisners Witwe hatte sich übrigens bereits 1940 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Frankreich das Leben genommen.

Weitere Blogposts zum Thema „Kurt Eisner“:

 

Blogparade #DHMDemokratie: Demokratisierung von Denkmälern durch Graffiti-Künstler?

12 Mai

Grünspitz won abc

Die Männchen am Grünspitz könnten Kurt Eisner am gegenüberliegenden Moral zujubeln – schließlich brachte er die Demokratie nach Bayern. Ohne Blutvergießen. (Foto: Winderl)

Für Denkmäler brauchte man früher einen langen Atem und ein Händchen für den institutionellen Weg. 

Einer, der mit Denkmälern für seine Person bisher eher Pech hatte, ist Kurt Eisner: Als Jude und „Roter“ war er den Nazis nicht genehm, deswegen war er schon dem Attentat zum Opfer gefallen. Aber auch nach dem Systemwechsel wollte er den Machthabern irgendwie nicht so recht ins (Straßen)Bild passen. Und das, obwohl er die Demokratie in der Novemberrevolution für uns erkämpft hat. Wenn also eine Blogparade fragt, was mir persönlich Demokratie bedeutet, muss ich Kurt Eisner als Bayerin unbedingt nennen! Und wenn dieser Text im Demokratie-Labor des Deutschen Historischen Museums in Berlin bearbeitet wird, dann sollte ich auch noch erwähnen, dass Eisner 1867 in Berlin geboren wurde.

100 Jahre nach dem Attentat können seine Gegner den Amtsweg für Denkmäler umgehen – u. a. dank neuer Medien: Auf Google Maps benannten sie den Marienhof kurzerhand in Kurt-Eisner-Platz um – und es hat lange niemand gemerkt, den es gestört hat. 

Und auch Denkmäler sehen heute ganz anders aus als noch vor 30 Jahren, als das „Haupt“bodendenkmal für Eisner in München eingeweiht wurde: Die Umrisse des Ermordeten an der Stelle des Attentats. Achtlos kann man über ihn hinweggehen…

Mural in München für Akteure der Revolution von 1918/19

Graffiti Georg Elser

Das erste Graffiti-Denkmal in München entstand für Georg Elser in Blickweite zum Hauptbahnhof. (Foto: Winderl)

Aber ganz ohne auf das Werk von won abc zu schauen, kann man künftig wohl kaum mehr an der Martin-Luther-Straße vorbeifahren oder -gehen.  Dafür ist es zu groß: Das derzeit größte Mural Münchens zeigt fünf Revolutionäre: Von links nach rechts sind das Kurt Eisner, Sarah Sonja Lerch, Erich Mühsam, Gustav Landauer und Ernst Toller.

Es ist nicht das erste Graffiti-Denkmal, das won abc geschaffen hat. Zusammen mit Loomit sprayte er auch eins für Georg Elser an der Bayerstraße (hier gibts eine genaue Erläuterung). Auch so einer, der in der Mainstream-Erinnerungskultur als Hitler-Attentäter nach Stauffenberg und seinen Mitverschwörern vom Juli 44 eher einen Platz in der zweiten Reihe hatte.

Für mich ist diese neue Art des Denkmals mit Graffiti ur-demokratisch, denn sie kommt direkt aus der Bevölkerung.

Gerade bei Kurt Eisner, dessen Anhänger so lange für eine Würdigung kämpfen, wird das besonders deutlich. Eine Konsens-Entscheidung wie über Denkmäler bis dato üblich, entspricht nicht unbedingt einem authentischen Bild des kollektiven Gedächtnisses. Denn Geschichte wird von den Siegern geschrieben und diese bauen ihren Helden Denkmäler.

Ohne Revolution keine Demokratie

Marienhof Kurt-Eisner-Platz

Der Marienhof wurde auf Google Maps einfach schon mal zeitweise in Kurt-Eisner-Platz umbenannt. Dort gibt es keine Anwohner, es würden wenig Kosten entstehen (Screenshot).

Won abc war laut meiner Nachfrage über Instagram frei bei der Wahl des Motivs an der Martin-Luther-Straße. Zur Gestaltung des ehemaligen Umspannwerks sollen ihm rund 28 000 Euro zur Verfügung gestanden haben.

Er hat sich für diese fünf Revolutionäre entschieden, weil er etwas mit ihnen gemeinsam habe: Die Anti-Haltung.

Ebenso wie Graffiti als Gegenkultur zur etablierten Kunst gilt, kämpften Eisner und seine Verbündeten gegen das herrschende politische System. Was wir nicht vergessen dürfen: Diesen Revolutionären verdanken wir unser heutige Demokratie! Für zum Beispiel das Frauenwahlrecht mussten sich Menschen erst gegen geltendes Recht stark machen. Demokratie ist für mich (nach Rosa Luxemburg) unter anderem daher auch immer die Freiheit der Andersdenkenden, sonst entwickelt sich nichts weiter. Ich bin davon überzeugt, dass Stillstand unserer Demokratie nicht gut tut. Wer weiß, wie unsere Demokratie in 100 Jahren aussieht: Mehr Partizipation vielleicht – wie sich das schon Eisner in seiner Idee von einer Rätedemokratie gewünscht hatte? 

Schwierig: Eisner und Räterepublikaner auf einem gemeinsamen Denkmal

Graffiti Eisner

Das Foto entstand als won abc noch (mit der Hebebühne) am Mural arbeitete: Kurt Eisner, farbig abgehoben von den anderen Akteuren der Revolution, kickt die Monarchie weg – hinter ihm eine Friedenstaube mit Heiligenschein. (Foto: Winderl)

Etwas Bauchweh habe ich als Historikerin immer, wenn Akteure der Räterepublik in einem Atemzug mit Eisner genannt werden oder hier eben gemeinsam abgebildet sind. Mühsam, Landauer und Toller waren nämlich Funktionäre der 1. Räterepublik Baiern – Kurt Eisner wurde mit ihnen oft in einen Topf geworfen, aber das ist falsch! Denn erst nach seinem gewaltsamen Tod (am 21. Februar 1919) eskalierte die Revolution zusehends. Der Rätegedanke wurde überstrapaziert bis die 2. Räterepublik schließlich blutig beendet wurde. (Übrigens während der Laufzeit dieser Blogparade und zwar am 2. Mai exakt vor 100 Jahren.)

Gut gefällt mir daher, dass das Gesicht Eisner auf dem Mural etwas von den anderen abgehoben ist: Es ist das einzige der fünf Köpfe, das rosa ist. So korrespondiert es mit den Friedenstauben und dem Peace-Zeichen, das Mühsam in Händen hält. Kurt Eisner kickt die Krone weg. Hinter ihm eine Friedenstaube mit Olivenzweig und Heiligenschein. Irgendwie eindeutig, wie der Graffiti-Künstler Eisner sieht.

(Mir nicht erklären kann ich jedoch, warum der Name Ernst Tollers eine andere Farbe hat als die anderen Beschriftungen. Wer eine Idee hat, ist herzlich eingeladen, sie als Kommentar zu hinterlassen!)

Giesing als idealer Standort des Denkmal-Graffitis

Mural Giesing Eisner

Als am Graffiti noch gearbeitet wurde, waren auch die Fenster mit einbezogen. Die Malerkrepp-Schriftzüge sind mittlerweile entfernt, die Namen der Akteure sind unter den Figuren aufgesprüht. (Foto: Winderl)

Es würde zu weit führen, alle fünf Portraitierten näher vorzustellen. Einige Worte möchte ich dennoch verlieren und dann wird vielleicht auch klar, warum ich explizit auch den Standort des Graffiti-Denkmals so genial finde: Sarah Sonja Lerch geb. Rabinowitz erlebte die Revolution selbst gar nicht mehr. Zusammen mit Eisner hatte sie in der Münchner Rüstungsindustrie den sog Januar-Streik des Jahres 1918 organisiert und wurde deswegen eingesperrt. Eisner kam aufgrund dieser Aktion erst kurz vor den Wahlen wieder frei.

Sie war zunächst am Neudeck (Gefängnis am Mariahilfplatz) interniert, der nur wenige Meter Luftlinie vom Mural entfernt ist, später (wie auch Toller und Landauer) in Stadelheim, wo sie erhängt in ihrer Zelle aufgefunden wurde. Landauer fand in Stadelheim einen gewaltsamen Tod. Auf dem Mural biegt sie die Gitterstäbe einfach auseinander.

Kurt Eisner Denkmal München

Ich stehe davor, aber über das Eisner’sche Bodendenkmal an der Kardinal-Faulhaber-Straße in München kann man einfach hinweggehen. Aber dieser Entwurf war Sieger bei einem Wettbewerb.

Auch der Ostfriedhof, an dem Eisner seine erste ewige Ruhe fand – im 3. Reich wurde seine Urne inkl. Gedenkstein für die Revolution entfernt – ist nur zwei Tram-Stationen weg.

Vielleicht wäre die Demokratie auch ohne Kurt Eisner nach Bayern gekommen. Vielleicht hätte sich dieser bescheidene Mann gar kein Denkmal für sich gewünscht.

Was meint ihr: Wie viel Erinnerung braucht Demokratie? Und wer darf über die Erinnerungskultur einer Gesellschaft bestimmen?

Wenn ihr jetzt bei der Blogparade des Deutschen Historischen Museums mitmachen wollt habt ihr noch bis 28. Mai Zeit. Alle Infos gibt’s hier.

Und wer sich generell für Graffitis in München interessiert, dem sei mein Blogpost über die Streetart-Safari, die ich mit Martin Arz besucht habe, ans Herz gelegt.

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