„Was einer ist, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar…“ lautet ein bekanntes und wie ich finde, auch sehr treffendes Zitat von Hans Carossa.
Als Historikerin beschäftige ich mich vornehmlich mit Menschen, die bereits verschieden sind. Ich kann mich mit ihnen nicht mehr direkt unterhalten, sondern muss mit Mitmenschen über sie sprechen, wobei sog. Oral History nicht unumstritten ist. Im Idealfall hat der Verstorbene in seinem Leben so viele und wichtige Quellen hinterlassen, dass diese in Archiven aufbewahrt werden.
Doch das Problem das dahinter steckt wird hoffentlich klar: Es kann zu „Deutungskämpfen“ kommen. Denn was mir Zeitzeugen berichten oder ich aus Quellen herauslese, kann anders ausfallen, als das gängige Stimmungsbild das z. B. Zeitungen über diese Person eingefangen haben.
Sinnigerweise hat das Stadtarchiv München zur gleichnamigen Blogparade aufgerufen und ich beteilige mich gerne daran, weil ich in meiner Doktorarbeit über die Rezeption des Eisner-Attentats genau mit diesen „Deutungskämpfen“ konfrontiert bin:
Echte Trauer oder nur Schaulustige bei größter Beerdigung in der Geschichte des Ostfriedhofs?
Wenn es – nach Carossa – nach dem Tod deutlich wird, was eine Person war, dann wäre meine Doktorarbeit schnell geschrieben: Denn auch wenn Kurt Eisner während seiner kurzen Amtszeit als erster bayerischer Ministerpräsident nicht gerade die Sympathien auf seiner Seite hatte, war die Trauer nach seinem Ableben groß. Der Tag seiner „Beerdigung“ wurde zum Landestrauertag erklärt. Der Trauerkondukt war so lang, dass die letzten Teilnehmer noch nicht von der Theresienwiese losmarschiert waren, als die ersten darin den Ostfriedhof erreicht hatten.
Waren unter diesen zahlreichen Trauergästen nur Schaulustige, wie später behauptet wurde?
Wie kann es überhaupt zu „Deutungskämpfen“ beim Opfer eines Attentats kommen? Steigt ein Ermordeter nicht automatisch in den Nimbus eines Heiligen auf? Man denke nur an ermordete Staatsmänner wie John F. Kennedy…
Doch Kurt Eisner sollte es anders ergehen: Schon während seiner kurzen Amtszeit wurde das Gerücht geschürt, er heiße in Wirklichkeit „Salomon Kosmanoswki“ und sei ein Jude aus Osteuropa.
Eisner war zwar Jude, aber kein Gläubiger und sein Vater war Kaufmann in Berlin gewesen. Das ist heute durch genug Quellenmaterial unwiderruflich belegt.
Nazis beseitigen Grab Eisners
Kurz nach der sog. Machtübernahme sprengten die Nazis das Grabmal des Juden Eisners, mit folgender Begründung: „Von einem großen Teil der christlichen Bevölkerung Münchens wird es als eine Schande empfunden, daß das Grab dieses Revolutionärs, der über die Bevölkerung soviel Unheil und Unglück gebracht hat, sich immer noch an einem der schönsten Punkte des Ostfriedhofs befindet.“
Derweil war die Novemberrevolution, an dessen Spitze sich Kurt Eisner befand, völlig unblutig verlaufen. Statt „Unheil und Unglück“ hatte sie München und ganz Bayern die Demokratie, den Achtstundentag und nicht zuletzt das Wahlrecht für Frauen gebracht. Deutungskämpfe also, die nach dem Ende der NS-Zeit beendet waren?
Leider nicht wirklich: In den 1950er Jahren wurden zwar eine Replik des ehemaligen Grabes auf dem Ostfriedhof wieder aufgestellt, eine entsprechende Umdeutung der Revolutionsregierung war jedoch nicht in Sicht. An dieser Stelle möchte ich den geneigten Leser, die geneigte Leserin auf meine Doktorarbeit verweisen, die hoffentlich bald fertig gestellt wird! Im Rahmen des Blogposts kann ich nur schlaglichtartig die Deutungskämpfe für eine adäquater Erinnerungskultur beleuchten.
Straße des Attentats nach umstrittenen Kardinal Faulhaber benannt
50 Jahre nach dem Jahrestag der Revolution wurde bspw. eine Straße nach Kurt Eisner benannt. Nicht jedoch im Stadtzentrum, wie er es wohl eher verdient hätte. Schließlich hat er Bayern zum Freistaat gemacht…
Nein, in einem damaligen Neubaugebiet, in Neuperlach.
Die Straße, in der der er ermordet wurde, nach ihm zu benennen, wurde abgelehnt.
Sie wurde stattdessen nach dem Tod des Kardinals nach Faulhaber benannt. Eine Person, um die es auch Deutungskämpfe gibt und die Diskussion um die Benennung einer Straße nach seiner Person auch im Beitrag des Diözesanarchivs zur Blogparade thematisiert wird. Persönlich finde ich es schwierig zu wissen, dass Kardinal Faulhaber Kurt Eisner und die Revolution kritisch gesehen hat und ausgerechnet die Straße nach ihm benannt wurde, in der sein einstiger Gegner Opfer eines Attentats wurde. Im Übrigen pflegte er zum Attentäter bzw. dessen Familie beste Beziehungen, traute sogar Anton Graf Arco auf Valley mit seiner Ehefrau. Aber das ist eine andere Geschichte, die ebenfalls in meiner Diss geschildert wird.
Straßennamen sind auch Thema im Blogpost des Stadtarchivs München. Straßennamen haben weit mehr als eine Orientierungsfunktion in unseren Städten, sie sind auch ein wichtiges Abbild der Erinnerungskultur einer Gesellschaft und zeigen, wer einen Deutungskampf in einer bestimmten Epoche für sich entscheiden konnte.
100 Jahre Freistaat und Staatsregierung gedenkt Gründungsvater nicht
Jetzt machen wir einen großen zeitlichen Sprung und denken uns ins Jahr 2018: Ganz Bayern feiert Kurt Eisner, dass er vor 100 Jahren den Freistaat Bayern begründet hat.
Ganz Bayern?
Nein, Eisners Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Markus Söder, erwähnt im offiziellen Feierakt der Staatsregierung den Namen Eisners nicht!
Warum? Der Freistaat Bayern erscheint heute gleichsam als Synonym für die CSU. Da kann unmöglich ein linker Berliner den Freistaat begründet haben!
Aber was kann Kurt Eisner dafür, dass sich eine Partei, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hat, dieselbe Bezeichnung nutzt wie Kurt Eisner in der Nacht der Novemberrevolution? Es war übrigens ebenfalls ein Sozialdemokrat, Wilhelm Hoegner, der nach 1946 den Staatsnamen wieder für Bayern in Spiel gebracht hat.
Die Staatsbezeichnung Freistaat enthält übrigens keine extra Rechte für Bayern, auch wenn Eisner (als gebürtiger Berliner) dies gern gesehen hätte… Freistaat ist schlicht eine andere Bezeichnung für Republik und sagt, dass dieser Staat „frei von Monarchie“ ist.
Anerkennung jetzt!
Ich finde es schade, dass wir über 100 Jahre nach dem Attentat auf Kurt Eisner noch immer darüber diskutieren müssen, ob er den Begriff „Freistaat“ verwendet hat oder nicht.
Er hatte seine Idee mit dem Leben bezahlt. Allein dafür schulden wir unserem Gründungsvater Respekt – die Zeit sollte reif dafür sein, seine Leistung über Parteigrenzen hinweg anzuerkennen! Ich hoffe, dass meine Doktorarbeit einen Beitrag dazu leisten wird.
Weitere Blogposts zum Thema „Kurt Eisner“:
- Blogparade #Femaleheritage: Sarah Sonja Lerch – Wegbereiterin des Freistaats
- Kurt-Eisner-Straße für Passau?
- Blogparade #DHMDemokratie: Demokratisierung von Denkmälern durch Graffiti-Künstler?
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