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Gastbeitrag: Was unsere Grünen mit der FPÖ gemein haben

20 Sept

Ich freue mich, dass ich passend zur Bundestagswahl am kommenden Sonntag meinen ersten Gastbeitrag politischen Inhalts veröffentlichten kann. Es sind interessante Überlegungen, die mein Kollege Korbinian Erdmann hier anstellt:

 

„‚Die Partei, die Partei, die hat immer recht‘ – Die deutschen Grünen und die österreichischen Freiheitlichen haben in ihren Parolen mehr gemein, als ihnen lieb sein kann.

Die Grünen in Deutschland plakatieren vor der Bundestagswahl „Mensch vor Bank“, die rechtspopulistischen Freiheitlichen in Österreich vor der Nationalratswahl „Wir helfen zuerst im eigenen Land // Rot-Schwarz hilft Bank und Spekulant“. Hie wie dort läuft die Sprachwahl darauf hinaus, eine bestimmte Gruppe außerhalb der positiv definierten Gesellschaft zu stellen: die rechte FPÖ spricht den Bankern das Ehrenrecht ab, zum ‚eigenen Land‘ zugehörtig zu sein, die linken Grünen bedienen sich der Dichotomie ‚Mensch – Unmensch‘, denn wenn der Mensch der Bank vorzuziehen ist, setzt das notwendigerweise die Unmenschlichkeit der Bank und der Banker voraus – als ob Banken keine ‚menschlichen‘ beziehungsweise menschengemachten Institutionen sind.

„Asymmetrische Gegenbegriffe“ und ihre Bedeutung in der Geschichte

Solche Gegensatzpaare haben eine lange Tradition, der Historiker Reinhart Koselleck nannte sie ‚asymmetrische Gegenbegriffe‘. Asymmetrisch deswegen, weil sie die Menschheit in einen positiven und eine negativen Teil gliedern, bei dem die Definitionshoheit nicht bei den als negativ bezeichneten liegt – man denke an „Arbeiter und Ausbeuter“, „Zivilisierter und Wilder“ oder eben auch „Mensch und Untermensch“. Das Problem: der Bezeichnete kann sich gegen diese Titulierung nicht wehren, sie wird ihm zugewiesen, darin besteht die Asymmetrie dieser Gegensatzpaare. Unheilvolle Realität wurde das ‚Herausdefinieren‘ bestimmter Gruppen aus dem Rest der Menschheit als der Nationalsozialismus politischer Rhetorik Taten folgen ließ.

Auch die Sandinisten Nicaraguas verwiesen in ihrer Hymne auf den „Yankee, den Feind der Menschheit“ nach dessen Niederlage ein neuer Morgen anbrechen würde für eine „Erde auf der Milch und Honig fließen“. Und in der DDR war es üblich, den Kampf gegen das Kapital als Verteidigungskampf der Menschheit zu stilisieren: „wer das Leben beleidigt ist dumm oder schlecht // wer die Menschheit verteidigt hat immer recht.“ Wer sich immer im recht sieht, der kann damit freilich jede Maßnahme rechtfertigen, sofern sie nur der Verteidigung der Menschheit dient. Was haben nun die Banken, mithin die Banker, von Grünen und Freiheitlichen zu erwarten?

V. a. die Grünen setzen auf Schwarz-Weiß-Malerei

Wo man den Anderen wegdefiniert ist kein Platz für Kompromisse mehr – das wäre Kollaboration mit dem Feind. Genauso ist auch jeder, der mit diesem Feind kollaboriert entweder dumm oder schlecht. Und es ist auffallend, dass die anderen großen Parteien in Deutschland und Österreich auf derartige Schwarz-Weiß Gegensätze verzichten. Sicher, CDU und FDP beschwören ‚Deutschland‘, so wie die SPD das ‚Wir‘ betont, genauso berufen sich ÖVP und SPÖ auf Österreich. Und auch die österreichischen Grünen kommen ohne asymmetrische Gegenbegriffe aus.

Sicher, nicht immer müssen solche Sprachmuster zum Schlimmsten führen und vermutlich führen weder Grüne noch Freiheitliche das Schlimmste im Schilde. Ihre Parolen beweisen aber zumindest eins: die Selbstgerechtigkeit derer, die sich ihrer bedienen und das Unvermögen, die eventuelle Richtigkeit des Standpunktes des Gegners anzuerkennen. Der ‚Andere‘  ist dann entweder zu dumm die reine Wahrheit anzuerkennen, oder schlichtweg übelwollend, gerade zu böse an sich.

Undemokratische Sprachwahl

Genauso ist es bei den Wahlparolen von Grünen und Freiheitlichen. Die Banken stehen uneingeschränkt auf der ‚falschen‘ Seite. Die Möglichkeit, dass es auch eine ‚gute‘ Bank und ‚gute‘ Banker geben könnte wird nicht anerkannt, hier wird sprachlich kein Pardon gegeben. Eine solche Ausschließlichkeit macht eine Verständigung unmöglich, denn, um Gadamer zu bemühen: Verständigung heißt vor allem: den anderen zu verstehen. Einen rhetorischen Graben aufzureißen, sei es zwischen Bank und Menschheit oder Bank und Vaterland schließt das nachgerade aus. Es ist damit auch die Negation der Konsensdemokratie. Somit ist die Sprachwahl sowohl der Bundesgrünen als auch der FPÖ bestenfalls unüberlegt, im letzter Konsequenz aber auch undemokratisch.“

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Der Gastautor, Korbinian Erdmann, studierte an den Universitäten Passau und St. Andrews. Er promoviert derzeit im Fach Geschichte an der Universität zu Köln.

EM-Zeit – Zeit für Heraldik: „Falsche“ Beflaggung beim BR

28 Jun

Die Rundschau fragt heute auf ihrem Facebook-Account mit dem Bild eines mit einer Fahne verkleidetem Autospiegel:“ Bei uns in der Redaktion haben (fast) alle ein gutes Gefühl für einen deutschen Sieg heute abend. Wie geht’s Ihnen?“

Soweit nichts ungewöhnliches… Doch wenn ich das Bild sehe, sehe ich nicht schwarz-rot-gold sondern SCHWARZ. Grund: Die deutschen Nationalfarben sind verkehrt herum. Da ich nicht genau weiß, ob das heraldisch unter Umständen auch möglich ist, schreibe ich meine Bedenken unter das Foto. Die Antwort kommt prompt: (Natürlich) ist die „falsche“ Anordnung der Nationalfarben nicht korrekt – das habe ich mir auch gedacht! (Zum Verständnis findet sich unten ein Screenshot von dem Foto).

Dass wir uns nicht falsch verstehen… Ich will niemandem dem Spaß an der EM und der damit verbundenen „Landes-Deko“ nehmen. Aber ich musste schon immer schmunzeln, wenn mir Autofahrer mit der „falschen“ Beflaggung begegnete – dass auch noch unser bayerisches Qualitätsfernsehen, der Bayerische Rundfunk, eine solche heraldische Falschheit verbreitet, das finde ich etwas befremdlich: Denn Qualitätsjournalismus, wozu u. a. eine gute Recherche gehört, hört bei mir nicht auf Facebook auf!

Von Wutzelskühn nach Europa… Wie meine Großtante einen französischen Kriegsgefangenen heiratete

17 Okt

Als heute morgen die Post kam, hielt mein Vater ein Kuvert in Händen und sagte: „Ich fürchte, Tante Marie ist gestorben!“ Der Brief bestätigte seine traurige Vermutung.

Mme. Maria Terrasse geb. Winderl + 2011

„Ich übersende diesen Brief an die Adressen, die ich in ihrem Block finde, um diese traurige Nachricht mitzuteilen“, schrieb Papas franzöischer Cousin Patrick – der selber fast kein Deutsch spricht und daher jemanden mit der Übersetzung beauftragen musste. Diese, meine französische Familie war der Grund, dass ich mich in der Schule für Französisch als 3. Fremdsprache entschieden habe. Ich wollte den Kontakt zum französischen Teil der Verwandtschaft nicht abreissen lassen. Und jetzt bin ich wohl am Zug…

Mit einem deutschen Wörterbuch „erobert“

Ich lese die Todesanzeige, die Namen der Kinder und Enkelkinder mit ihren Partnern stehen da und „toute sa famille de Bavière“. Nicht die Familie aus „Deutschland“, sondern aus „Bayern“ trauert um die verstorbene Schwester, Tante und Großtante… Damals, als Maria Anfang der 1950er Jahre nach Frankreich zu ihrem Amédée ging, da war sie die „Deutsche“. Kaum ein Wort französisch hat sie gesprochen, sie, die in einem kleinen Dorf in der Oberpfalz aufgewachsen ist. Dort hat sie den „Franzosen“ getroffen, der als Kriegsgefangener eine Zeit in der Oberpfalz verbringen musste. Ich erinnere mich gut an ihre Worte: „Amédée hat mich mit einem deutschen Wörterbuch erobert.“ Liebe braucht also anscheinend nicht viele Worte!

Amédée holte „die Deutsche“ in sein Dorf

Alle Details über die (verbotene) Liebe des Kriegsgefangenen zu der Bauerntochter kenne ich leider nicht und nun ist es auch zu spät, Tante Maria zu fragen… aber so viel weiß ich, dass wohl nur die wenigsten zurückgekommen wären, um die Freundin und das gemeinsame Kind nach Frankreich zu holen. Erst einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – die Tochter von Maria und Amédée konnte schon etwas deutsch sprechen – hat Amédée Maria in sein kleines Dorf, Chas, geholt. So früh es halt ging. Aber für Maria bedeutete dies, ihre Heimat zu verlassen und mit dem Mann, den sie liebte, ins Ungewisse zu gehen. Wir können uns das heute wohl überhaupt nicht mehr vorstellen – keine Flugzeuge, keine E-Mails. Frankreich war für die Oberpfälzer wohl damals wie das Ende der Welt.

„Nach einigen Wochen habe ich mein eigenes Kind nicht mehr verstanden, weil es viel schneller als ich französisch lernte“, erinnerte sich meine Großtante und auch sonst soll die Anfangszeit in Chas alles andere als einfach gewesen sein. Aber wem wäre es zu verdenken gewesen, dass die Franzosen nach dem Weltkrieg schlecht über „die Deutschen“ dachten? Und nun war quasi „der Feind“ in ihrem Dorf…

Als große Europäerin gestorben

Maria lernte französisch, integrierte sich und dachte doch all die Jahre an ihre Verwandtschaft in Bayern. Einige Male war sie zu Besuch in ihrer alten Heimat Wutzelskühn und die bayerische Verwandschaft in Chas. Je älter sie wurde, desto seltener wurden jedoch die Besuche… aber ich bin froh, dass ich sie auch einmal persönlich kennenlernen durfte. Denn diese Frau, meine Großtante Maria ist mein Vorbild: Sie verkörpert für mich gelebte deutsch-französische Freundschaft und auch wenn sie nur als einfache Bauerntochter geboren ist – ist sie für mich als eine große Europäerin gestorben!

RIP Mme Marie