Ist ein Mensch stark oder gar nur auf sich selbst bezogen, wird ihn seine Umwelt als nicht besonders positiv wahrnehmen. Vielmehr wird er zwar als selbstsicher, aber egoistisch eingestuft werden, der für seine fehlerhaften Seiten nur einen verklärten Blick haben wird.
Ähnlich problematisch kann es sein, wenn sich die Medien nur auf sich selbst beziehen, also in ihrer Berichterstattung nicht auf die medienexterne Umwelt zurückgreifen. Dies wird als Phänomen der Selbstreferentialit beschrieben.
Da die Öffentlichkeit in der (Medien)gesellschaft über Medien hergestellt wird, kommt den Medien bzw. Journalisten dabei eine gewisse Verantwortung zu. Der bekannte Systemtheoretiker Luhmann formulierte es treffend folgendermaßen: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann, Niklas (2009): Die Realität der Massenmedien. 4. Auflage. Wiesbaden, S. 9.)
Die Dystopie, die der Spruch, „was nicht in den Massenmedien vermittelt wird, hat nicht stattgefunden“ (zitiert nach Strohmeier, Gerd (2004): Politik und Massenmedien. Eine Einführung. Baden-Baden, S. 72.) ist gerade im Film oftmals bereits Realität geworden. Das Problem ist, dass vergleichbar mit einer Autobiografie, nicht genau geklärt werden kann, was in den Medien realistisch oder verklärt dargestellt wird. Sind sie doch oftmals der einzige Realitätsbeweis.
Kein direkter Zugang zu Primärereignissen in der Mediengesellschaft
Die Herstellung von Öffentlichkeit ist die Primärfunktion der politischen Funktion von Massenmedien, „[d]a dem Individuum der direkte Zugang zu Primärereignissen aus räumlichen und zeitlichen Gründen oft verwehrt ist, kann hier durchaus von einem Abhängigkeitsverhältnis gesprochen werden, denn für viele Sachverhalte bleiben die Massenmedien die einzige Informationsquelle, die dem Einzelnen zur Verfügung steht.“ (Strohmeier (2004), S. 72.)
Beziehen sich die Medien also immer stärker auf sich selbst und recherchieren die Journalisten nicht an diesen oben erwähnten Primärereignissen, werden sie ihrer eigentlichen Funktion nicht mehr gerecht und das mediale Phänomen der Selbstreferentialität wird zum Problem.
Derzeit gibt es viele mediale Phänomene, die von der Selbstreferentialität profitieren, was besonders deutlich im Umfeld des Fernsehens aufgezeigt werden kann.
TV Total als selbstbezügliche Fernsehsendung
So gibt es Sendungen, die davon leben, sich auf andere Sendungen zu beziehen. Als bestes Beispiel des deutschen Fernsehens für eine selbstbezügliche Fernsehsendung kann Stefan Raab’s TV Total angesehen werden – die Sendung lebt davon, dass Raab Filmausschnitte anderer Fernsehproduktionen zeigt.
Guttenbergs falscher Vorname
„Der neue Wirtschaftsminister: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Wilhelm Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg. Müssen wir uns diesen Namen merken?“ Mit dieser Schlagzeile (vom 10. Februar 2009) machte die Bildzeitung einen Tag nach der Ernennung von Guttenberg zum Bundeswirtschaftsminister durch seinen Parteichef, Horst Seehofer, auf.
Aber all diese Namen mussten sich die Bürger tatsächlich nicht merken, denn ein anonymer Wikipedia-Autor hatte den falschen Vornamen „Wilhelm“ bewusst dem Guttenberg-Artikel der Online-Enzyklopädie hinzugefügt.
Hier kommt das Problem der Selbstreferenz zum Tragen. Binnen 24 Stunden hatten nämlich die Medien den falschen elften Vorname quer durch die Republik verbreitet. Egal ob es sich um eine Qualitätszeitung, wie die Süddeutsche Zeitung oder eine Boulevardzeitung, wie die Bild handelt – alle haben offensichtlich von Wikipedia abgeschrieben.
Skeptische Wikipedia-Autoren hatten zwar zwischenzeitlich Verdacht geschöpft, doch der Einzelnachweis bei den Vornamen lag mittlerweile bei Spiegel-Online.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass viele Medien ihre Informationen nicht mehr an der ursprünglichen Quelle recherchieren, sondern aus anderen Medien übernehmen, was als „Zirkelbezug“ zu bezeichnen ist.
Richtig wäre es gewesen, an der primären Quelle, in diesem Fall „das Genealogische Handbuch des Adels“ zu recherchieren.
Handelsblatt.com rechtfertigt sich nach Bekannt werden der Manipulation folgendermaßen: „Gerade wenn es schnell gehen muss, dann greifen Journalisten mittlerweile gerne auf Wikipedia zurück.“
Stellung nimmt der anonyme Wikipedia-Autor auf dem Bild-Blog: „Zugegeben, der Scherz war anfangs nicht gerade originell. Innerhalb weniger Stunden bekam er aber eine höchst interessante Eigendynamik, die mich an den Recherche-Methoden vieler Journalisten erheblich zweifeln ließ. […] Niemand merkte es – und etliche Online-Medien, Zeitungen und Fernsehsender schrieben meine Erfindung ungeprüft ab.“
Das handelsblatt.com steht an dieser Stelle nur exemplarisch für alle Medien, die ungeprüft von Wikipedia abgeschrieben hatten. Die Redaktion formuliert in der Richtigstellung, dass sie Lehren aus diesem Vorfall ziehen wolle.
Medienjournalismus als Lösungsansatz in Zeiten von Spiegel-Online?
Arbeiten die Journalisten nicht sorgfältig, wie es eigentlich ihrer Berufspflicht entspricht und recherchieren bspw. nicht an Primärquellen, kann für das Publikum ein enormer Schaden entstehen, wie oben thematisiert wurde.
„Die Massenmedien erfüllen eine Kontrollfunktion, indem sie politisch Akteure kontrollieren und gegebenenfalls kritisieren. Oftmals ist von einer Kontroll- und Kritikfunktion die Rede.“( Strohmeier (2004), S. 73.) Die Medien kontrollieren also die Politik – aber können sich die Medien auch selbst kontrollieren?
Watchblogs als neue Form der Medienkritik
Eine neue Veröffentlichungsmöglichkeit für Medienkritik sind „Watch-Blogs“. Einer der bekanntesten deutschsprachigen Watchblogs ist der Bildblog, der ursprünglich nur Bildpublikationen, nun aber auch andere Publikationen beobachtet. Auch der anonyme Wikipedia-Autor hat in diesem Blog erläutert, wie er Freiherr von Guttenberg zu Wilhelm machte.
Der Medienjournalismus würde also eine Möglichkeit darstellen, das Problem der Selbstreferentialität zu lösen oder zumindest zu kontrollieren. Doch wiederum problematisch ist, dass der Medienjournalist „im Glashaus sitzt“, weil seine gesellschaftlich notwendige Kritik- und Kontrollfunktion von kollegialen und ökonomischen Interessenskonflikten überschattet wird.
In einer Zeit, in der sich Journalisten nach Leitmedien wie Spiegel Online richten, wird es schwer sein, das Problem der Selbstreferentialität in den Griff zu bekommen. Wenn Medien Leitmedien als dogmatische ansehen und ungeprüft übernehmen.
Autonomes Mediensystem für Demokratie wichtig
Doch ist das Phänomen der Selbstreferentialität nicht nur als Problem zu stilisieren:
Nicht nur Luhmann hält den Eingriff in ein autopoietisches System für problematisch. Den Garant für eine gesunde, pluralistische Demokratie stellt ein selbstständiges, autonomes und autopoietisches Mediensystem dar. In Artikel 5 des Grundgesetzes ist daher gemeinsam mit der Meinungsfreiheit, die Rundfunkfreiheit und Informationsfreiheit verankert: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Ein geschlossenes System erhält sich durch Selbstbeobachtung. Es ist daher nicht erstaunlich, dass es gerade Filmemacher sind, die das Problem der Selbstreferentialität aufzeigen. Schließlich bewegen auch diese sich in diesem autopoietischen System. So leistet der Spielfilm durch seine Selbstbeobachtung einen wichtigen Beitrag und trägt zur Optimierung des Systems bei. So plädiert bspw. „Good Night and Good Luck“ für den Einfluss, den die Zuseher durch ihr Fernsehverhalten haben.
In Zeiten des Web 2.0, das vom „user generated content“ lebt, sind die Möglichkeiten z. B. durch Watchblogs noch viel größer, die Medien direkt zu beobachten.
Macht der User durch Medienkontrolle 2.0
Es wäre wünschenswert, wenn die Bürger von ihrer „neuen Mündigkeit“ verstärkt Gebrauch machen würden. Denn das Web 2.0 kann, bei richtigem Gebrauch eine ähnlich große aufklärerische Leistung wie einst die Erfindung des Buchdrucks haben. Die Bürger könnten von den Journalisten ebenso weniger abhängig werden, wie einst im Gutenberg-Zeitalter von den Dogmen der Kirche.
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