Archiv | April, 2020

Mittels YouTube Stadtführungen ins Wohnzimmer bringen

27 Apr

Ja, mit meinem Job als Stadtführerin verdiene ich im Moment kein Geld. Das wird wohl auch noch einige Zeit anhalten, denn selbst wenn die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben sind, werden die Touristen nicht scharenweise nach Passau strömen….

Aber rumsitzen und jammern war noch nie so mein Ding. Deswegen habe ich -zusammen mit dem Passauer Stadtführer e. V. – ein Projekt initiiert. YouTube-Videos sollen die Stadtführung nach Hause bringen. (Die Passauer Neue Presse berichtete darüber am 24. April 2020.)

Digitalisierung als Chance in der Krise um im Gespräch zu bleiben

Print wirkt doch noch – oder zusätzlich. Die Abozahlen gingen nach dem Artikel über die Digital-Initiative der Stadtführer nach oben.

Was das bringt, könntet ihr jetzt fragen? Mit den YouTube-Videos verdienen die Stadtführer ja auch kein Geld.

Nun, das ist richtig. Auch mit der Präsenz des Stadtführer-Vereins in den sozialen Netzwerken, die übrigens auch hauptsächlich von mir betreut werden, steckt eine Menge ehrenamtliche Arbeit drin! Verdient ist damit zunächst nichts…

Aber auf den zweiten Blick hoffe ich, dass wir Stadtführer uns langfristig eine neue Zielgruppe erschließen können. 140 Mitglieder haben wir aktuell und die meisten haben in einer Fremdsprache geführt. Denn gerade die einheimische Bevölkerung, die Passauer, waren bisher an Stadtführungen nicht so sehr interessiert.

Aber weiß man wirklich alles über seine Heimat? Als Historikerin, die hier aufgewachsen ist, kann ich das verneinen – für die Stadtführer-Prüfung durfte auch ich so einiges büffeln. Und habe dabei so viele interessante Nebenkapitel in der Stadtgeschichte entdeckt.

Kerngeschäft verschenkt man dadurch nicht

Beim Weltgästeführertag widmeten wir Stadtführer uns bisher solchen Nebenkapiteln. Eine Standard-Stadtführung wird euch in den YouTube-Videos nicht erwarten, eher Spezial- oder Bonuswissen. Denn jeder der 140 Mitglieder hat ein anderes Steckenpferd. Und durch unseren starken Social-Media-Auftritt könnt ihr gar nicht mehr anders, als nach Corona eine Stadtführung bei uns zu buchen 😉 Vielleicht auch bei dem- oder derjenigen direkt, die ihr Spezialthema schon mit so viel Herzblut (gratis) euch vermittelt hat. 

In Folge 1 erzähle euch etwas über die hl. Corona (aktuell kann man mit solchem Wissen garantiert bei jeder Zoom-Party glänzen ;), später auch noch über die Krankenhauskapelle. Das Museum Moderner Kunst ist momentan ja auch geschlossen, die Wörlen-Retrospektive in den Ausstellungsräumen verwaist. Die Ausmalungen in der Krankenhauskapelle stammen von Georg Philipp Wörlen – vielleicht ergeben sich in der Krisenzeit auch hier Synergien zwischen Stadtführer und MMK!

Aber je nachdem wie lange die Krise noch andauert, habe ich auch noch andere Themen in der Pipeline – ich lasse aber natürlich auch meine Kollegen ran, die teilweise schon Jahrzehnte durch Passau führen! Annemarie Schmöller zum Beispiel, die seinerzeit die anspruchsvolle Stadtführer-Prüfung mit null Fehlern ablegte und eine Ilzstädterin ist, wird euch kommende Woche über das Niederhaus berichten.

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Netflix-Serie „Unorthodox“ im echten Leben: Mein Besuch in Mea Shearim

15 Apr

Auf Netflix boomt gerade die Serie „Unorthodox“, eine Mini-Serie über eine orthodoxe Jüdin, die den „Ausstieg“ aus ihrem konservativen Leben schafft. Als Mitglied der DIG beobachte ich natürlich auch die Diskussion darüber, ob die Serie antisemitisch sei.

Als Alltagssprache ist Jiddisch selten geworden – besonders noch bei ultra orthodoxen Juden verbreitet, die zum Beispiel in Jerusalem im Stadtteil Mea Shearim leben. Und weil mich das Erscheinungsbild der orthodoxen Juden seit meiner Landung im Ben Gurion Airport in Tel Aviv besonders beeindruckte, wagte ich mich gleich während meines ersten Besuchs im Heiligen Land (im Oktober 2018) in diesen Stadtteil. Und ich dachte mir, da wir im Moment nicht reisen können, wäre es nett, diese meine Erinnerungen mit euch zu teilen!

Serie basiert auf Autobiografie

Zum Glück war ein Jerusalem-Kenner bei unserer Jufo-Reisegruppe dabei, der arg Bauchweh hatte, mit mir und meinen Freunden Mea Shearim zu betreten… 

Schilder weisen darauf hin: Mea Shearim soll man nur in sittsamer Kleidung betreten. Handy und orthodox sein passt zusammen. (Foto: Winderl)

Aber wenn ich mir etwas in meinen Kopf gesetzt habe… An unseren Ausflug in diese andere Welt erinnerte ich mich, als ich mit „Unorthodox“ auf Netflix anfing. Ich weiß nicht, ob die Aufnahmen im Williamsburg geschönt sind. Ich war ja nur in dem ultra orthodoxen Viertel in Jerusalem und kann sagen, dass es mit unserem Verständnis von Sauberkeit nichts zu tun hat. 

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Bei hochsommerlichen Temperaturen mit Strickjacke durch Mea Shearim

Beim Eingang zum Viertel hängen Schilder, dass man es nur in angemessener Kleidung betreten darf. Das hieß für mich und meine Freundin, dass wir uns unsere Strickjacken bei über 30 Grad anzogen, weil die Arme der Frauen bedeckt sein müssen. Hosen sind eigentlich verboten, zum Glück waren Culottes gerade Trend, die sind immerhin weit. Aber streng genommen hätten wir mit unserem Outfit sicher Problem bekommen. In unserem Alter wären wir auch längst verheiratet gewesen, das heißt, wir hätten unsere Haare bedecken müssen (mit Tuch oder Perücke).

Feldmann wurde übrigens mit 16 Jahren verheiratet. Die Serie basiert auf ihrem autobiografischen Roman „Unorthodox“*.

Hält auch in Mea Shearim langsam die Moderne Einzug? Normalerweise sind Kinder Aufgabe der Frauen, Männer studieren die Thora. (Foto: Winderl)

Im Zuge meiner Recherche zu „Unorthodox“ habe ich eine Reportage gesehen, in der ein deutsches Filmteam – bestehend aus zwei Frauen – in Mea Shearim bespuckt und mit Steinen beworfen wurden. Freilich, mein Smartphone, mit dem ich verstohlen die Aufnahmen gemacht habe, war schnell im Ärmel verschwunden. Erst heute wird mir bewusst, dass der Ausflug in diese andere Welt wohl gar nicht so ohne war….

„Modest Clothes“ mehr für Frauen relevant?

Witzig fand ich, dass das Outfit bei Männern offensichtlich keine Rolle spielt – mein Kumpel stapfte mit Sandalen (immerhin ohne weiße Socken) und kurzen Hosen durch das Viertel. (Und dem Jutebeutel unserer Uni, dass wir auch gleich auf den ersten Blick als Deutsche auszumachen waren ;)) Natürlich wären wir immer als Touristen aufgefallen… Schwarzen Anzug, weißes Hemd und Hut hat man auf einer Studienreise ja eher selten dabei 😉

An den Hüten können Experten wohl die einzelnen Religionsgemeinschaften zuordnen. Denn die Satmarern, der Deborah Feldmann angehörte, ist nur eine zahlreicher Gemeinschaften, die die religiösen Regeln besonders streng befolgen; sie werden der chassidischen Bewegung zugeordnet. Die Einhaltung des Sabbats ist nur eine dieser vielen Regeln. Die Satmarer lehnen zum Beispiel den Zionismus ab, deswegen findet man diese nicht in Mea Shearim.

Die Hauptaufgabe orthodoxer Juden ist das Studium der Thora – Frauen sollen Kinder bekommen. Natürlich ist das jetzt stark vereinfacht von mir dargestellt – wie auch die Serie. Ich kann euch nur einladen, wer sich für das Thema interessiert, sich selbst einzulesen. Ich freue mich, dass die Netflix-Serie die Diskussion angestoßen hat!

Impressionen aus Mea Shearim. Am Markt gibt es Persil zu kaufen. Müll wird einfach auf der Straße entsorgt.